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Spinne oder Fliege - Bundestagsabgeordnete im Netz unterschiedlicher Interessen

ARD / Bericht aus Berlin, 31.10.2003 - Wortprotokoll

Lobbyismus: Wie Politik unter Druck gerät

Thomas Roth (ARD): Zusammenarbeit von Politik und Industrie war vorhin das Stichwort, unsere Beispiele waren eher Flops. Es scheint ein Bereich zu geben, bei dem das besser funktioniert als uns lieb sein kann und zwar ausgerechnet im Deutschen Bundestag. Am Beispiel der Gesundheitsreform haben die sogenannten Lobbyisten der Pharmafirmen die Abgeordneten regelrecht und mit System unter Beschuss genommen, offenbar mit ziemlich viel Erfolg. Joachim Wagner hat seit längerem im Detail recherchiert, wieviel Einfluss die Lobbyisten inzwischen auf die Abgeordneten haben. Abgeordnete, die selbst bei viel Fleiß kaum mehr die immer kompliziertere Gesetzesmaterie durchschauen. Und weil das so ist, bekommen sie Hilfe von denen, die wir gar nicht gewählt haben als wir gewählt haben.

Joachim Wagner (ARD): Nein, das ist keine Führung durch die historische Mitte Berlins, sondern ein Rundgang zu den Hauptstadtrepräsentanzen der großen deutschen Konzerne. Viele haben sich in historisch interessante Gebäude einquartiert, zum Beispiel die Telekom ins "Kaiserliche Hauptthelegraphenamt" von 1876. Dieses neue touristische Angebot ist ein Beleg für den stark gestiegenen Stellenwert des Lobbyismus in Berlin.

Jörg van Essen, Parl. Geschäftsführer FDP: „Man kann sagen, Bonn war ein Dorf, Berlin ist eine Großstadt, und so hat sich auch die Lobby entwickelt. Wir hatten in Bonn eher Frühstücksdirektoren, hier haben wir ausgebuffte Profis.“

Wilhelm Schmidt, Parl. Geschäftsführer SPD: „Im Verhältnis zu Bonn ist der Lobbyismus in Berlin geradezu explodiert. Das sieht man an der Fülle der Kontakte, die versucht werden, aber auch an der Fülle des Materials, und das ist schon spürbar.“

JW: Die Zahl der in der Lobbyliste des Bundestages eingetragnen Verbände hat eine Rekordmarke erreicht:1781. Mit der Registrierung erhalten die Verbände das Recht, bei offiziellen Anhörungen im Gesetzgebungsverfahren beteiligt zu werden. Bei den viertägigen Hearings zur Gesundheitsreform im Juni hatten sich sage und schreibe 140 Verbände zu Wort gemeldet. Und noch einen Vorteil bringt die Eintragung: Mithilfe von Abgeordneten-Bürgen können Lobbyisten Hausausweise für den Bundestag bekommen, um den Kontakt zu Volksvertretern zu erleichtern. 4500 haben einen solchen erhalten - wesentlich mehr als zum Beispiel Journalisten.

Karlheinz Maldaner, Deutsche Telekom, Konzernbeauftragter Politik: „Der Einfluss der Lobbyisten ist gewachsen, weil die Problematik der Verflechtung, der Komplizierung und der Globalisierung größere Informationsfülle für die Parlamente erforderlich macht.“

Inge Maria Burgmer, Managmentberatung: “Ich denke, er ist schlagkräftiger geworden, weil er professioneller geworden ist. Ganz sicher hat es eine Rolle gespielt, dass zunehmend Leute aus dem Apparat für die Wirtschaft angeheuert worden sind zur Vertretung ihrer Interessen. Das sind funktionsbezogen Ex-Wirtschaftsminister, Ex-Staatssekretäre aber auch Chefredakteure und Inhaber großer Unternehmensberatungen die dann frei arbeiten.

JW: Strahlende Gesichter nach der Einigung bei den Konsensgesprächen über die Gesundheitsreform. Nach Meinung Vieler keine Glanzleistung, weil sozial unausgewogen. Sie belastet vornehmlich Patienten und Versicherte. Strukturreformen wurden weitgehend blockiert: Die Kassenärztliche Bundesvereinigung verteidigte ihr Monopol, die Pharmaindustrie verhinderte die Positivliste für Medikamente und die Apotheker vereitelten weitgehend Versandhandel und Drogerieketten.

Brigitte Bender, Bündnis 90/Grüne: „Wir haben immer wieder über die Frage Wettbewerb für Ärzte, Wettbewerb für Apotheker geredet und da hat man schon den Eindruck gehabt, dass der Schutzzaun um diese Gruppen der CDU und der FDP besonders wichtig war.“

JW: Parteispenden spielen nach den Rechenschaftsberichten der Parteien bei der Gesundheitslobby fast keine Rolle mehr. Im Vorwahljahr 2001 erhielt die CDU von drei Spendern rund eine halbe Millionen Mark, die FDP gut 55.000 Mark. SPD und Grüne gingen - wenig überraschend - leer aus. Dass Spenden heute weitgehend geächtet sind, liegt auch an Gremien wie dem sogenannten Kollegium, eine der mächtigsten Runden in Berlin. Hier treffen sich einmal im Monat die Repräsentanten der Dax 30 Unternehmen zum internen Meinungsaustausch, zu Gesprächen mit Politkern und zur Diskussion über einen Ehrenkodex: Man will raus aus der Schmuddelecke, dem Verdacht, dass Wirtschaft Politik kaufen könne.

Wolf-Dieter Zumpfort, Repräsentant TUI: „Unsere Mittel sind Information, Kommunikation, Einladungen zu manchmal guten, opulenten Essen oder Veranstaltungen, die den Abgeordneten oder Beamten etwas Abwechslung in seinen sonstigen tristen Alltag bringen. Aber die klassische Politik nämlich, Geschenke machen, Geld in Umschlägen unter dem Tisch mit „WG.“ Das ist vorbei.“

JW: Die Kassenärztliche Bundesvereinigung baut in Berlin gerade einen neue Verwaltungszentrale. Dass sie die Gesundheitsreform unbeschadet überstand, dankt sie der CDU und vor allem ihrer Gesundheitsexpertin Widmann-Mauz. Sie überreichte der Konsensrunde dieses Eckpunkte- Papier der Kassenärztlichen Bundesvereinigung als wichtige Meinungsäußerung - an einigen Stellen nur notdürftig geschwärzt.

Brigitte Bender, Gesundheitsexpertin Bündnis 90/Grüne: „Wir wollten das Monopol der Kassenärztlichen Vereinigungen brechen und die Ärzte nur noch mit Einzelverträgen zur Versorgung zulassen. Im Verhandlungsprozess wurde deutlich, dass auf Seiten der CDU zum Teil direkt aus den Argumentationshilfen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zitiert wurde.“

JW: Der Pharmalobby ging es vor allem darum die sogenannte Positivliste für Medikamente zu verhindern. Von den etwa 40.000 in Deutschland zugelassenen Arzneimittel sollten die Krankenversicherungen künftig etwa nur noch die Hälfte bezahlen. Klar, dass für viele Firmen viel auf dem Spiel stand, zum Beispiel für den Pillenkonzern Schwarz-Pharma, dessen Durchblutungsmittel Prostavasin nicht auf der Positiv-Liste stand. Jahresumsatz: 27,2 Millionen Euro. Patienteninitiativen deckten die Abgeordneten mit Briefen ein. Der Chef der Firma schickte an die Mitglieder des Gesundheitsausschusses E-Mails mit einer Serie Digitalfotos von verfaulenden Füßen und verstümmelten Beinen. Sollte es Prostavasin nicht auf die Positiv-Liste schaffen, drohten mindestens 10.000 zusätzliche Amputationen

Klaus Kirschner, SPD-Gesundheitsexperte: „Was ich gemerkt habe, dass ein Vielzahl von Patientinnen und Patienten hier vor den Karren gespannt, da gibt es dann auch noch Selbsthilfeverbände, die vielleicht aus gutem Glauben handeln, irgendwelche Kampagnen ganz gezielt gemacht werden, um Druck auf Abgeordnete auszuüben.“

JW: Hinter dem CDU-Nein zur Positiv-Liste stand vor allem aber der hessischen Ministerpräsident Koch, in dessen Bundesland die Pharmakonzerne Aventis und Merk Steuern zahlen. Das ist - in etwas eitler Pose - Hans Günther Friese, der Cheflobbyist der deutschen Apotheker. Er ließ in sechs Wochen 7,2 Millionen Unterschriften gegen den Versandhandel sammeln und schaffte es sogar 60-70 SPD-Bundestagsabgeordnete aus Niedersachsen und Nordrhein- Westfalen auf seine Seite zu ziehen.

Brigitte Bender: „Den Apothekern ist - glaube ich - schon gelungen, bei vielen Kollegen zumindest Verunsicherung auszulösen, weil sie behauptet haben, bei bestimmten Strukturveränderungen müssten sie dicht machen, sie müssten ihre Angestellten entlassen, und haben natürlich auch damit gedroht, dass sie diese Argumente den Kunden in ihren Apotheken mitteilen.“

JW: Das Cafe Einstein ist ein beliebter Lobbyisten Treff - auch für Anja Hollmann. Die Rechtsanwältin hat zum Beispiel durch rechtliche Hinweise unbeabsichtigte Nebenwirkungen der Gesundheitsreform bei rezeptfreien Medikamenten beseitigt.

Anja Hollmann, Lobbyistin: „Darunter fällt jetzt aber nicht nur Aspirin oder ein Schnupfenmittel. Sondern darunter fallen auch lebensnotwendige Medikamente für chronisch Kranke, für Diabetiker, für Dialyse-Patienten. Da haben wir den Gesetzgeber darauf hinweisen können, dass er ein redaktionelle Änderung vornehmen konnte so dass die jetzt wieder erstattungsfähig sind.“

JW: In ihrem Büro an der Wand hängen die Organigramme von den Ministerien. Die wichtigsten Ansprechpartner unter den Beamten sind markiert. Außerdem kann man bei ihr für jedes Unternehmen der Gesundheitsbranche die Top 50 oder die Top 100 Kontakte in Ministerien, Fraktionen und Landesvertretungen kaufen. Bei Wunsch werden mit allen auch Mittagessen arragiert - gegen Bares versteht sich. Im Gesundheits- wie anderen Ministerien ist es üblich geworden, bei wichtigen Entscheidungen Verbände und Unternehmen frühzeitig anzusprechen. Lobbyisten erhalten zum Beispiel häufig Rohentwürfe von Gesetzestexten früher als Bundestagsabgeordnete.

Karlheinz Maldaner: „Es kommt vor, dass wir bei größeren Gesetzesvorhaben Alternativformulierungen vorschlagen und dann auch rübergeben an die Arbeitsebene des Ministeriums und die dann drüber entscheiden, ob es für sie brauchbar ist, ob sie es verwerfen oder Teile davon übernehmen. Das kommt vor, ja.“

JW: In der SPD-Fraktion hat der Lobbyismus immer doch das Odium des Anrüchigen, eine Gegenmacht, die man am besten ignoriert. Im Gegensatz zu Fraktionschef Müntefering, der das Gespräch zu Gesundheitslobby gesucht hat.

Franz Müntefering, SPD-Fraktionsvorsitzender: „Der Begriff des Lobbyismus ist in Deutschland ein wenig negativ belegt. Ich würde sagen, dass man ohne ein klare Interessenvertretung kaum zu vernünftigen Ergebnissen kommen kann. Man muss denen nicht nach dem Mund reden. Man muss auch nicht machen, was sie einen Vorschlagen zu tun. Aber es ist gut zu wissen, wie die Interessenlage der einzelnen Verbänden und Organisationen ist.“

JW: Ein bemerkenswerter Meinungswandel, der wohl realistisch akzeptiert, dass die Macht des Lobbyismus weiter wachsen wird. Denn im Zeitalter der Globalisierung und Technisierung wird es den Ministerien zunehmend schwerer fallen, sich aufgrund eigener Kompetenz vollständige Bilder von Politikfeldern zu machen.